Der mehrfache ausgezeichnete Half Hitch Gin – benannt nach dem Knoten, mit welchem Boote in den Kanälen Londons befestigt wurden – findet seinen Ursprung im Herbst 2014. Dessen Schöpfer Marks Holdsworth verfolgte damit die Vision, den ehemaligen Ruhm seiner Heimatstadt Camden wiederzubeleben.
Es ist das 19. Jahrhundert: unter Queen Victoria wurden Expeditionen nach Indien unternommen, in der Gin-Industrie herrschte Hochkonjunktur und sowohl Gin als auch Gin & Tonic wurde zum Lieblingsgetränk der damaligen Upper Class.
Camden Lock im Herzen Londons war mit einer Fläche von über 20 Ackern von historischer Bedeutung für die Gin-Herstellung und Lagerung. Das Viertel erstreckte sich von den Kanälen bis hin zum „The Roundhouse“. Auch wenn die ansäßigen Gebäude inzwischen anderweitig genutzt werden, erinnern noch heute Straßennamen an vergangene Zeiten. Über 50 Jahre nachdem die letzte Destillerie Camden Locks verließ, möchte nun Mark Holdsworth einen Teil des Ruhms wieder einkehren lassen.
Die Flasche des Half Hitch wird lediglich von einem entsprechenden Knoten geziert, während die dazugehörige Internet-Präsenz an die Industrialisierung und die ehemaligen Destillerien mit ihren dunklen Gewölben, Kupferrohren & -kesseln und Fässern erinnert.
Aus einem Land vor unserer Zeit
Auch die verwendeten Botanicals haben einen historischen Hintergrund und wurden sorgfältig zusammengestellt. So bildet Schwarztee aus Malawi – einer ehemaligen Kolonie des Vereinigten Königreiches – die Basis des Gins. Diese fermentierte Variante des Tees sorgt unter anderem für malzige, erdige und leicht pfeffrige Aromen. Dazu gesellt sich kalabrische Bergamotte aus dem Süden Italiens, wodurch die Paarung sehr an „Earl Grey“ erinnert. Die pfeffrigen Aromen des Tees werden von schwarzem Pfeffer unterstrichen. Englisches Holz und Heu bilden mit einer Süße, die der Vanille ähneln soll, einen passenden Kontrast. Selbstverständlich sind auch typische Vertreter zu verzeichnen. Darunter unter anderem Zimtrinde, Koriander, Lakritze, Schwertlilie, Angelikawurz sowie Zitrusfrüchte.
Die Hochzeit der einzelnen Botanicals findet mehrstufig statt. Eingangs werden die Botanicals in drei zeitintensiven Prozessen verarbeitet. Die klassischen Vertreter werden dabei in traditionellen Kupferkesseln verarbeitet, während bei sensiblen Zutaten wie Heu auf Vakuum-Destillation mittels Rotationsverdampfer gesetzt wird. Aus Tee werden wiederum mit manuellen, aus der Medizin bekannten Verfahren Tinkturen hergestellt. Die einzelnen Komponenten werden abschließend mit hochprozentigem Gin-Konzentrat in den Gewölben alter Gin-Lagerhallen geblendet. Das Gin-Konzentrat wird von Alcohols Ltd in der Langley Distillery nahe Birmingham hergestellt. Das dahinterstehende Familienunternehmen ist in diesem Gewerbe bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert tätig.
It’s teatime, my dear
Bereits vor dem Öffnen fällt die leichte Trübung des weiß-gelben Destillats auf, die vermutlich auf die darin enthaltenen ätherischen Öle zurückzuführen ist.
In der Nase ist der Half Hitch Gin aufgrund der Zitrusfrüchte sehr frisch. Wenn man weiß, dass sich Tee unter den Botanicals befindet, meint man, auch diesen als dezente Basis zu erkennen. Viele weitere Komponenten wie Pfeffer, Zimt und Nelken gehen zumindest in der Nase unter. Stellenweise lassen sich leicht harzige Noten und solche, die an Lavendel oder Kirschblüten erinnern, erahnen.
Auf der Zunge stechen neben dem Wacholder vor allem der Schwarztee und die Bergamotte hervor. Auch andere Zitrusfrüchte lassen sich entdecken. Erdige Aromen wie die des Muskats oder Zimts runden den Geschmack ab. Auch hier kommen florale Nuancen von Lavendel zum Vorschein, insbesondere auf der Zungenspitze. Im Vergleich zu anderen wie dem Gin Sul ist der Half Hitch im Rachen schärfer und ähnelt stellenweise Eukalyptus.
Empfohlen wird die Kombination des Half Hitch Gins mit einem neutralen Tonic Water – wie dem Fever Tree Indian Tonic – und als Garnish eine Orangen-Zeste, wodurch die Bergamotte betont werden soll. Ich persönlich bevorzuge eine Art „G with Tea„: schwarzen Tee bei Raumtemperatur im Gin ziehen lassen und abseihen; wahlweise mit dem Saft einer halben Zitrone und Soda Water oder einem neutralen Tonic Water auffüllen; mit einer Zitronen-Zeste abrunden. Viele weitere Varianten finden sich auf Marks Holdsworths Webpräsenz wieder.
Mein Résumé
Für umgerechnet circa 45 Euro pro 70cl ist der Half Hitch Gin preislich auf Niveau des Affen aus dem Schwarzwald. Geschmacklich darf man jedoch etwas ganz anderes erwarten. Insbesondere die Kombination aus Schwarztee und Bergamotte lässt sich schon hervorheben. Der Tea-infused Gin bietet sich förmlich an. Wer allerdings einen sehr milden Gin erwartet, wie überwiegend die der deutschen Destillerien, wird ein wenig enttäuscht sein. Für „Earl Grey“-Liebhaber jedoch äußerst interessant.
Gesamteindruck
Komplexität
Betonte Wacholder?
Floraler Gin?
Ziturs-Aromen?
pfeffrige Noten?
extravagant?
Aufmachung
Preis- / Leistung