Gin-Herstellung > Worüber sich die Geister streiten
Im Teil 2 der Serie „Worüber sich die Geister streiten“ legen wir unser Hauptaugenmerk darauf, was mit dem Gin-Feindestillat geschieht bevor es zur Vollendung in unseren Gin & Tonic gelangt. Es gibt durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen in der Weiterverarbeitung.
Das Feindestillat
Das Feindestillat offenbart die Seele des Gins und ist mitentscheidend, ob wir am nächsten Tag über Kopfschmerzen klagen. An dieser Stelle vertrauen wir aber darauf, dass der Destillateur (m/w) sein Handwerk versteht, um Vor- und Nachlauf zur rechten Zeit vom Herzstück zu trennen. Qualität zählt. Klasse statt Masse lautet hier die Devise, handcrafted und sehr gerne auch mal regional.
Was geschieht nun aber nach dem Destillationsprozess mit dem aromatisierten und weiterhin hochprozentigen Alkohol? Anders als bei Whiskey und Rum muss Gin eigentlich nicht reifen. Heißt, er kann sogleich weiter verarbeitet werden. Theoretisch.
Denn immer mehr Stimmen werden laut, dass eine Lagerung auch hier der Verstärkung und gar Neubildung von Aromen zugute kommt. Dank der Zuführung von Luftsauerstoff wird der Gin runder, die Aromen ausbalancierter. Warum also nicht auch mal eine Pumpe anschließen, um diesen Vorgang zu beschleunigen? Destillateure sind eben wahre Erfinder, nicht nur auf dem Gebiet der Aromengestaltung. Und ihr Job endet noch lange nicht direkt nach der Destillation. Die einen schwören bei der Lagerung des Feindestillats auf Steingutfässer, die anderen bevorzugen Edelstahl oder Glas. Von der Lagertemperatur ganz zu schweigen. Wiederum andere geben ihren Gins erst nach der Vermählung mit Wasser Zeit zur Entfaltung. So genießt jeder Gin seine individuelle Ruhezeit. Oder eben auch mal keine.
Ob das Feindestillat zuvor noch mit Essenzen oder einer besonderen Weininfusion angereichert wird, um das Geschmackserlebnis zu toppen, liegt erneut ganz in den Händen des Destillateurs. Es ist sogar möglich, verschiedene geistliche Destillate zu vereinen. Mindestens eines davon muss eben mit Wacholderbeeren aromatisiert sein. An dieser Stelle sei nochmals betont, dass alle Aromen natürlich, mindestens naturidentisch sein müssen. Künstliche Ingredienzien sind im Gin fehl am Platz.
In jüngster Zeit erfreuen sich auch sogenannte Reserved Gins zunehmender Beliebtheit. Hierbei erhält das Feindestillat Farbe und durchaus Geschmack durch die Lagerung in Holzfässern – neue, alte, mal aus Eiche, mal ist darin zuvor Sherry oder Whiskey gereift. Nichts scheint unmöglich. Gin ist eine wandelbare Spirituose. Faszinierend und genussvoll zugleich.
Die erwünschte Trinkstärke
Endlich ist es an der Zeit, das Destillat auf trinkbare Prozente herab zu setzen. Mindestens 37,5 % vol. Alkohol muss ein Gin laut EU-Verordnung haben, um sich so nennen zu dürfen. Die meisten Gins liegen aber im Bereich von 40 – 49 % vol. Schließlich ist Alkohol ein wichtiger Geschmacksträger. Die Branntweinsteuer sollte hierbei nicht ausschlaggebend sein. Das (ausgeruhte) Destillat weist meist einen Alkoholgehalt von über 70 % vol. auf. Somit nicht unbedingt genießbar und im folgenden Schritt mit Wasser zu verdünnen. Hier scheiden sich die Geister. Verwenden die einen normales demineralisiertes Trinkwasser, sind die anderen ganz stolz auf ihr eigenes reines Quellwasser. Den direkten Vergleich kennt aber wohl nur der Hersteller selbst.
Beim Einstellen des Alkoholgehaltes muss der Destillateur erneut sein Geschick beweisen. Was für den einen Gin an Prozenten zu viel ist, erscheint für einen anderen zu wenig. Deshalb endet erst hier die endgültige Rezeptur, nicht aber die Handarbeit. Denn es geht nun häufig noch weiter. Durch die Zugabe von Wasser können sich winzige Aromenöl-Tröpfchen bilden. Der Gin wird milchig-trüb, abhängig von den verwendeten Botanicals. Besonders fällt dies ins Auge, wenn gekühltes Tonic Water oder eben Eiswürfel zugegeben werden.
Manche Hersteller stehen dazu und verzichten bewusst auf eine Filtration. Meist aber wird zumindest leicht filtriert, um so wenig Aromen wie möglich, in den Hintergrund zu drängen, denn das Auge trinkt ja bekanntlich auch mit. Ob dies nun über Eiweißfilter, Steine oder leicht gekühlt erfolgt, sei dahin gestellt. Generell gilt, dass edle Spirituosen, v. a. wenn pur getrunken, nicht gekühlt sein sollten. Denn diese stehen für ein gelungenes Aroma und ihre Vielfalt. Da darf es ruhig Zimmertemperatur sein.
Spätestens nach der Filtration heißt es nun aber ab in die Flasche und nach Hause zu uns Gin-Liebhabern und in die Bars dieser Welt. Oder doch noch etwas Ruhezeit gefällig? Gut Ding will eben Weile haben. Aber Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude.